Arm und Reich: Elon Musk verfügt über 304 Mrd. Dollar – 750 Millionen Menschen über weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag

Wie entwickelt sich die Kluft zwischen Arm und Reich?
Neues Buch „Im Wandel der Zeit“ gibt Antworten

Arm und Reich: Elon Musk verfügt über 304 Mrd. Dollar - 750 Millionen Menschen über weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag

Dr. Thies Claussen

Wie entwickelt sich die Kluft zwischen Arm und Reich?

Die Amerikaner belegen nach der „Forbes“-Liste 2022 bei den 10 reichsten Menschen der Welt allein 9 Plätze, darunter bekannte Namen wie Elon Musk (Tesla; 304 Mrd. Dollar), Jeff Bezos (Amazon; 196 Mrd. Dollar) oder Bill Gates (Microsoft; 137 Mrd. Dollar). Nur der Franzose Bernard Arnault (Luxusmarken wie Dior; 203 Mrd. Dollar) schaffte es als reichster Europäer auf Platz 2 dieser Liste. Die reichsten Deutschen Beate Heister und Karl Albrecht Junior, die Erben der Supermarktkette Aldi Süd folgen mit 43 Mrd. Dollar erst auf hinteren Plätzen.

Umgekehrt leben rund 10 Prozent der Weltbevölkerung, also mehr als 750 Millionen Menschen, in extremer Armut. Nach einer Definition der Weltbank bedeutet das, dass sie weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag zur Verfügung haben. Bei diesem Ansatz wird die Kaufkraft des US-Dollars in lokale Kaufkraft umgerechnet. Das heißt, das extrem arme Menschen nicht in der Lage sind, sich täglich die Menge an Gütern zu kaufen, die in den USA 1,90 US-Dollar kosten würden. Knapp die Hälfte der Weltbevölkerung lebte 2020 von weniger als 5,50 US-Dollar am Tag.

Angus Deaton, Professor der Princeton University, der 2015 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften für seine Analysen von Konsum, Armut und Wohlfahrt erhielt, warnt vor einer wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich. Soziale Spannungen, verschärft durch Zuzug, Flucht und Migration, gefährden den Zusammenhalt der Zivilgesellschaft. Auf Dauer – so Deaton – lässt sich Prosperität nur erreichen, wenn die Ungleichheit gemildert wird. Andernfalls drohen wirtschaftliche Dauerkrisen und soziale Konflikte, die die Demokratie gefährden.

Wie sieht die Entwicklung von Einkommen und Vermögen in Deutschland aus? Wie entwickelt sich die Kluft zwischen Arm und Reich? Nach dem Zweiten Weltkrieg zu Zeiten des Wiederaufbaus und des „Wirtschaftswunders“ rückte dieses Thema eher in den Hintergrund. Ludwig Erhard versprach „Wohlstand für Alle“. Der Großteil der Bevölkerung musste bei null anfangen. Heute haben wir zwar ein erheblich höheres Wohlstandsniveau, aber die Verteilungsfrage rückte wieder in den Vordergrund.

Der aktuelle sechste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung vom Mai 2021 zeigt, dass insbesondere beim Vermögen eine große Ungleichheit besteht. Der Gini-Koeffizient liegt hier bei 0,81. Der Gini-Koeffizient ist ein Indikator, der angibt, wie gleich etwas in einer Gruppe verteilt ist. Er kann zwischen 0 und 1 schwanken. 0 würde bedeuten, dass alle deutschen Haushalte exakt gleich viel Vermögen besäßen, 1 würde bedeuten, dass ein Haushalt alles besitzt und alle anderen nichts. Beim Global Wealth Report der Credit Suisse für das Jahr 2019 liegt Deutschland mit dem Gini-Koeffizienten 0,81 auf dem 150. Platz. Ähnlich schlimm ist die Lage in Nigeria und Südafrika, schlimmer allerdings in den USA und – das überrascht – in Schweden.

Doch zunächst ist festzuhalten: Eine Gleichverteilung von Einkommen, Vermögen, Lebensbedingungen und gesellschaftlicher Teilhabe gibt es nicht und kann es in einer Sozialen Marktwirtschaft auch nicht geben. Die grundlegende Frage ist allerdings, wie groß die Unterschiede zwischen Arm und Reich sind und ob die Ungleichheit wächst oder sich verringert.

Beginnen wir – bevor wir auf die beträchtlichen Vermögensunterschiede eingehen – mit der Einkommensverteilung. Für die meisten deutschen Haushalte ist das regelmäßige Arbeitseinkommen die wichtigste Einkommensquelle. Zwischen 1991 und 2018 stiegen die nominalen Arbeitseinkommen in Deutschland um 76 Prozent. Unter Berücksichtigung der Preissteigerungen verbleibt ein reales Plus von 12 Prozent.

Eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) zeigt, dass beim Einkommen die relative Verteilung schon seit 2005 bemerkenswert stabil ist. Das deckt sich auch mit einer Untersuchung von Prof. Clemens Fuest. Bei der Einkommensverteilung liegt der Gini-Koeffizient nach Steuern und Sozialleistungen bei 0,28. Das ist international ein überdurchschnittlich guter Wert. Hinzu kommt, wie es der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung belegt, dass letztlich alle Einkommensbereiche von der positiven Wirtschaftsentwicklung der letzten Jahre profitiert haben.
Doch zwischen den Einkommen von Ärzten, Rechtsanwälten oder Ingenieuren einerseits und Geringverdienern andererseits klafft eine erhebliche Lücke. Als Geringverdiener definiert die Bundesagentur für Arbeit die derzeit 18,7 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit einem Bruttoarbeitsentgelt unter 2.284 Euro. In diesem unteren Entgeltbereich sind überdurch-schnittlich viele Frauen, Beschäftigte unter 25 Jahren und Beschäftigte ohne deutsche Staats-bürgerschaft vertreten. Auch gehören diesem Entgeltbereich nur sehr wenige Akademiker, aber viele Ungelernte an.

Besonders groß ist das Risiko, nur ein geringes Einkommen zu erzielen im Gastgewerbe (68,9 Prozent), der Arbeitnehmerüberlassung (67,9 Prozent) und in der Landwirtschaft (52,7 Prozent). Während in diesen Branchen mehr als die Hälfte der sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten weniger als 2.284 Euro im Monat verdienen, sind es im Öffentlichen Dienst (2,5 Prozent), bei der Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen (4,2 Prozent) sowie in der Information und Kommunikation (6,0 Prozent) nur sehr wenige Beschäftigte.

Regional fällt auf, dass der Anteil der vollzeitbeschäftigten Geringverdiener im Osten (mit der Ausnahme Berlin) trotz der Konvergenz in den vergangenen Jahren noch immer weitaus höher ist als im Westen. Beispiele sind der Erzgebirgs-kreis (43,2 Prozent Geringverdiener), Görlitz (42,5 Prozent) oder Vorpommern-Rügen (40,8 Prozent). Den niedrigsten Anteil an Geringverdienern unter den Landkreisen verzeichnen Wolfsburg (6,4 Prozent) und Erlangen (8,3 Prozent).

Und wie sieht es in der Mittelschicht aus? Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung definiert die Mitte so, dass Paare mit zwei Kindern dazugehören, wenn sie über einen verfügbaren Monatsverdienst zwischen 3000 bis 8000 Euro verfügen. Gerade Deutschland war immer stolz auf seine Mittelschicht, die größer war als in anderen Industrieländern. Die Mitte hält den Staat am Laufen, weil sie mehr an Steuern und Beiträgen einzahlt als sie an Sozialleistungen herausbekommt. Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zählt fast die Hälfte der Gesellschaft zur Mittelschicht (Mitte 37 Prozent, untere Mitte 10,5 Prozent). Hinzu kommt mit 13,2 Prozent die obere Mittelschicht/Wohlstand.

Bei den Babyboomern, die von 1955 bis 1964 auf die Welt kamen, schafften es sieben von zehn nach dem Berufsstart in die Mittelschicht. Bei den Jahrgängen 1983 bis 1996, sind es nur sechs von zehn. Dabei spielt Bildung eine zentrale Rolle. Wer eine Ausbildung abschließt, aber kein Studium, dem bleibt die Mitte öfter versagt als früher. Nach der Studie der Bertelsmann-Stiftung ist es nicht nur schwerer geworden, in die begehrte Gesellschaftsschicht zu kommen. Gerade jene in der unteren Mittelschicht rutschen leichter daraus ab – im typischen Berufsalter jeder Fünfte.

Soweit zum Thema Einkommen und Einkommensverteilung. Doch nun zur Verteilung des Vermögens, wo Deutschland mit dem bereits genannten Gini-Koeffizienten von 0,81 weltweit nur weit hinten auf dem Platz 150 liegt. Das heißt, dass 149 Staaten eine bessere Vermögensverteilung haben als Deutschland.

Zunächst: In Summe sind die privaten Haushalte in Deutschland so reich wie noch nie. Nach einer Analyse der DZ Bank ist das Geldvermögen 2021 um mehr als 7 Prozent auf fast 7,7 Billionen Euro gestiegen. Berücksichtigt werden in dieser Auswertung Bargeld und Bankeinlagen, Wertpapiere wie Aktien und Fonds sowie Ansprüche gegen-über Versicherungen. Die rasant gestiegenen Immobilienwerte sind in diesen Zahlen noch gar nicht berücksichtigt.

Wenn das Immobilienvermögen hinzugerechnet wird, betrug das deutsche Privatvermögen 2020 nach einer im Januar 2022 veröffentlichen Schweizer Studie sogar 16,4 Billionen Euro. Damit liegt Deutschland bei den Privatvermögen in der Gesamtsumme in Europa auf Platz eins, gefolgt von Frankreich mit 12,6 Billionen Euro und Großbritannien und Italien mit je 10 Billionen Euro.

Über die genaue Verteilung sagen diese Zahlen noch nichts aus. Klar ist aber, dass von dem Vermögenszuwachs nicht die unteren Einkommensklassen profitiert haben. Denn gerade in der Corona-Pandemie legten die Aktienkurse teilweise deutlich zu, die Börsen erreichten Höchstwerte. Davon profitieren vor allem die, die genügend am Kapitalmarkt angelegt haben und natürlich die, die von den teilweise exorbitant gestiegenen Immobilienwerten Nutzen ziehen. Auch wurde mehr gespart und weniger ausgegeben, das können sich vor allem besser situierte Haushalte leisten.

Die Vermögensungleichheit ist außer in Deutschland EU-weit nur in Irland und Lettland ähnlich groß. Laut Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) verfügt die ärmere Hälfte der Bevölkerung zusammen über nur 1,3 Prozent des Gesamtvermögens. Den reichsten 10 Prozent gehörten gemeinsam 56 Prozent des Vermögens. Innerhalb dieser Gruppe ist das Vermögen nochmals extrem konzentriert: Die fünf reichsten Menschen bzw. Familien verfügen über mehr Vermögen als die ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung.

Bei 7,7 Billionen Euro Geldvermögen und 16,4 Billionen Gesamtvermögen verwundert es kaum, dass auch die Zahl der Euro-Milliardäre in Deutschland von 69 im Jahr 2001 auf 162 im Jahr 2020 um mehr als das Doppelte anstieg. Zu den größten Vermögensbesitzern gehören insbesondere sehr große Lebensmittelhändler wie Aldi oder Lidl und Milliardäre aus dem Automobilbereich.

Die meisten der Superreichen verdanken ihren Reichtum dem Erbe ihrer Eltern und teilweise Großeltern. Erbschaften verschärfen zweifellos die in Deutschland herrschende Vermögensungleichheit. Vererbt wurden 2020 in Deutschland schätzungsweise 200 bis 400 Milliarden Euro. Davon nahm der Staat aber nur 6,99 Milliarden Euro Erbschaftssteuern ein. Nur ein Teil der Erb-schaften war steuerpflichtig. Der Großteil profitiert von hohen Freibeträgen und Steuervergünstigungen bei Schenkungen vor dem Tod.

Die Corona-Pandemie hat auch in Deutschland zu einer enormen Neuverschuldung des Staats geführt. Eine stärkere Belastung der Vermögenden zur Finanzierung der Corona-Folgen könnte durchaus geboten sein. Möglich wäre eine Anhebung der Steuersätze für sehr hohe Einkommen, eine stärkere Besteuerung von Erbschaften oder das Wiederaufleben einer Vermögenssteuer. Doch schon ein Blick auf die Zwänge der neuen Ampel-Koalition zeigt, dass die Spielräume für Entscheidungen in diese Richtung eher eng sind.

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird zwar nicht beim Einkommen, wohl aber beim Vermögen immer noch größer statt kleiner werden. Schon der Nobelpreisträger Angus Deaton warnte vor drohenden Wirtschaftskrisen, sozialen Konflikten und der Gefährdung der Demokratie, wenn die Ungleichheiten nicht gemindert würden.

Mehrere soziale Organisationen haben vor zunehmender gesellschaftlicher Ungleichheit durch die Corona-Krise gewarnt. Jobverlust, Gehaltseinbußen durch Kurzarbeitergeld oder fehlende Aufträge bei Selbstständigen – die Corona-Krise verstärkt das Armutsrisiko.

„Man hat als armer Mensch ein höheres Risiko, an Corona zu erkranken und zu sterben, als ein reicher“, sagte der Präsident des Sozialverbands Deutschland (SoVD), Adolf Bauer, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Die Pandemie habe bewirkt, „dass Teile der Mitte der Gesellschaft gefährdet sind, in Armut abzurutschen“. Viele Selbstständige seien nicht mehr in der Lage, ihren Lebensstandard zu halten. „Die Mitte ist geschrumpft. Für immer mehr Menschen wird die Lage prekär, während ein anderer Teil noch reicher geworden ist“, so Bauer.
Er befürchtet „eine weitere Spaltung der Gesellschaft, wenn die Zahl derer wächst, die staatliche Unterstützung benötigen, und gleichzeitig auf der anderen Seite wenige einen immer größeren Anteil des Vermögens besitzen“. Das werde zu Spannungen führen.

Claussen geht in seinem neuen Buch „Im Wandel der Zeit“ in acht Kapiteln auf Fragen ein wie „Was lernen wir aus der Corona-Pandemie?“ oder „Was bestimmt unsere Zukunft?“. Weitere Kapitel sind „Welche Lebensphasen durchlaufen wir?“, „Wie werden Menschen weise?“, Was bedeutet Wissenschaft für unser Leben?“ oder „Wie entwickelt sich die Kluft zwischen Arm und Reich?“. Auch stellt er die Fragen „Scheitert der Klimaschutz an unserer Bequemlichkeit?“ und im letzten Kapitel „Was macht uns glücklich?“.

Das neue Buch „Im Wandel der Zeit“ ist präzise, klar und gut verständlich geschrieben. Die einzelnen Kapitel sind jeweils wissenschaftlich untermauert und gründlich durchdacht. Das im Hamburger Tredition-Verlag im Februar 2022 erschienene 170-seitige Buch ist sehr empfehlenswert für alle, die eine Orientierung zu wichtigen Fragen unseres Lebens und unserer Gesellschaft suchen.

Von Dr. Thies Claussen sind die Bücher „Im Wandel der Zeit. Wo stehen wir? Wohin gehen wir?“ (2022), „Denkanstöße – Acht Fragen unserer Zeit“ (2021), „Unsere Zukunft nach Corona“ (2020), „Ludwig Erhard. Wegbereiter unseres Wohlstands“ (2019), „Zukunft beginnt heute“ (2018) und „Unsere Zukunft“ (2017) erschienen.
Der Autor war Ministerialdirigent im Bayerischen Wirtschaftsministerium und zuletzt Vizechef der LfA Förderbank Bayern.

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